Archiv der Kategorie ‘Innovation‘

 
 

Gelesen: Effectuation

Die Reihe Gelesen haben wir hier zuletzt (bis auf ein paar Best of…) sträflichst vernachlässigt. Dabei wurde auch 2022 durchaus gelesen. Ein Thema dabei war Effectuation – und das gleich zweimal:

Zunächst im Original bei Saras D. Sarasvathy und dann beim deutschsprachigen Vorreiter Michael Faschingbauer (Amazon Affiliate Links):

Was heißt denn Effectuation?

Effectuation ist eine Art unternehmerisches Framework, basierend auf ein paar Grundannahmen und Prinzipien, abgeleitet aus einer empirischen Studie von Sarasvathy.

Effectuation versteht sich als eine alternativer Ansatz zum linear-kausalen Methodenkoffer, der durch Vielfalt, Vernetztheit, Dynamik und begrenzten Einfluss immer wieder an seine Grenzen stößt.

Effectuation ist eine unternehmerische Theorie(?) die auf die Theorie verzichtet, sondern auf der Anwendung von vier Prinzipien beruht:

  • Prinzip der Mittelorientierung
  • Prinzip des leistbaren Verlusts
  • Prinzip der Umstände und Zufälle
  • Prinzip der Vereinbarungen und Partnerschaften

Diese Prinzipien ersetzen oder ergänzen so Dinge wie das ökonomische Prinzip oder den homo oeconomicus.

Statt zu fragen, wie kann ich meinen Gewinn maximieren/meine Kosten minimieren, frägt Effectuation nach den verfügbaren Mitteln, die uns zur Verfügung stehen (Prinzip der Mittelorientierung).

Die Frage nach dem leistbaren Verlust ist die Frage danach, welchen Spielraum für Experimente wir haben. Wieviel Aufwand können wir uns leisten um zu lernen? Experimentieren statt optimieren. Nur durch Experimente sind Innovationen möglich. D.h. ja nicht, dass Optimierung und lineare Kausalität falsch sind, aber sie führen uns eher in die Verwaltung und Optimierung und nicht ins Unternehmertum und zur Kreierung von Neuem.

Dafür müssen wir offen sein für Umstände und Zufälle – Stichwort Serendepity (Wikipedia).

Vereinbarungen und Partnerschaften sind eigentlich nichts anderes als die Anwendung der Mittelorientierung und die Nutzung von Umständen und Zufällen im Sozialen.

Zentrale Fragen im dynamischen Effectuation Modell sind: Wer bin ich? Was weiß ich? Wen kenne ich? (Verfügbare Mittel) und dann weiter: Was kann ich jetzt tun? Mit wem kann ich darüber reden?

Sarasvathy braucht keine deutschsprachige Übersetzung, denn dafür gibt es ja Michael Faschingbauer. Während Sarasvathy doch noch den akademischen Duktus mitbringt, liefert Michael Faschingbauer eher die Umsetzung und wird trotzdem Sarasvathy gerecht. Bei Faschingbauer gibt es auch Fallsstudien und eine Toolbox.

Eine kritische Anmerkung noch zur empirischen Grundlage von Sarsvathy: Ihre Definition von Experten-Unternehmertum (mindestens zehn Jahre Vollzeit-Erfahrung in der Gründung und Führung von Unternehmen hat, mehrere Unternehmen, darunter erfolgreiche und gescheiterte, gegründet hat und mindestens ein Unternehmen an die Börse gebracht hat) ist schon sehr speziell. Fokussiert mehr auf Elon Musk, Jeff Bezos & Co und ignoriert letztlich große Teile unserer Wirtschaft und des Unternehmertums, beansprucht aber die Verallgemeinerbarkeit der Erkenntnisse. Auch wenn die Ideen sehr spannend und vielversprechend sind, die Betonung dieser empirischen Basis ist dann doch akademische Augenwischerei. Da gibt es keinen Mittelstand und keine Familienunternehmen. Dort sind die Prinzipien auch anwendbar, aber enthalten ganz sicher noch andere Facetten, die nicht minder interessant sein dürften.

Gelesen: Meta-Modell für agile Innovation

Ein Meta-Modell für agile Innovation: Die Entdeckung von Noita Vonni
Jean-Phillipe Hagmann
ISBN 9783800664795
(Amazon Affiliate Link)

Vor einer ganzen Weile war hier schon einmal von einem anderen Buch von Jean-Phillipe Hagmann die Rede: „Hört auf, Innovationstheater zu spielen!“ (Amazon Affiliate Link). Sein neues Buch war schon länger angekündigt, die Auslieferung hat sich aber offenbar verzögert (was auch immer gerade beim Vahlen Verlag los ist – ein zweites Buch auf meiner Watchlist ist auch noch nicht raus).

Umso gespannter war ich auf das Meta-Modell für agile Innovation. Und selbstverständlich ist es kein „normales“ Buch. In konventioneller Art und Weise über ein Thema wie Innovation zu schreiben, wäre ja auch irgendwie eine Themaverfehlung. Von daher: ganz nach meinem Geschmack.

Und siehe da: In Romanform, d.h. in Romanform plus (handschriftlicher) Anmerkungen des Autors. Das Innenleben des Buches erinnert von daher optisch etwas an Druckfahnen in der Korrektur. Das Buch hat tatsächlich eine Meta-Ebene, allerdings weniger auf der Modellebene, wie der Titel suggeriert, sondern eher auf der Handlungs-/Inhaltsebene. Da gibt es als eigentlichen Kern ein Science Fiction-Reisetagebuch (woher mir so ein Format doch bekannt vorkommt…) und dann die Anmerkungs- und Interpretationsebene, d.h. Interpretationsebene ist eigentlich falsch, denn der Kommentator interpretiert die Reisegeschichte weniger als eine Metapher für Innovation, sondern er nimmt diese Metapher als gesetzt. Da hätte mir ein bisschen Spiel mit dem Zweifel gefallen, aber nichts da, die Geschichte wird bis auf ihr Skelett zum Modell für agile Innovation seziert. Wobei mir diese Heldenreise eigentlich noch mehr als Metapher über Innovatoren, denn als Metapher über Innovation gefallen hätte.

Großartige Idee, sehr schön umgesetzt, aber…

Aber? Ja, aber. Ich finde das Format schwer lesbar. Die Sciene Fiction Story liest sich natürlich ganz leicht und die Idee handschriftlicher Anmerkungen ist witzig, in der Fülle aber anstrengend zu lesen. Und dabei stecken doch die fachlichen Inhalte gerade dort. Das eigentliche Innovationsmodell gibt es „nur“ als Skribbel (gleich auf der ersten Umschlaginnenseite, bzw. in Entwicklungsschritten in den Anmerkungen; im Inneren sind dann ein paar bunte SciFi-Bilder eingestreut in die Story). Ich muss gestehen, dass ich bei der Lektüre mich zunehmend auf die reine Romanhandlung fokussiert habe. Die Anmerkungen ergeben keinen geschlossenen Text und sind in dieser Form nicht lesefreundlich. Sie sind eher so etwas wie ein Zettelkasten zur Innovation (das ist jetzt nicht despektierlich gemeint, denn über Zettelkästen wurde auch hier schon berichtet). Das Modell per se liefert einen guten Bezugsrahmen, aber um mich inhaltlich mit Innovation auseinanderzusetzen, würde ich wahrscheinlich eher wieder zum Innovationstheater greifen. In der verspielten Form verzichten viele Referenzen und Begrifflichkeiten auf eine Erklärung. Gut für die Story, aber schlecht für Leser, die noch nicht so tief im Thema sind, die sich nocht nicht mit Design Thinking Lean Startup oder der Brückenbauermetapher beschäftigt haben. Dabei ist doch gerade so ein Format eher ein Türöffner. Etwas schade, aber trotzdem eine spannende Lektüre und ein sehr schön gemachtes Buch.



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