PMBOK 7. Ausgabe

PMI (Hrsg.), Der Standard für das Projektmanagement und A guide to the project management body of knowledge (PMBOK guide), 7. Ausgabe, Newtown Square, Pennsylvania 2021
(Amazon Affiliate Link)

Mit Standards ist das so eine Sache: Einerseits wünschen wir uns Stabilität und Orientierung von ihnen, andererseits müssen sie sich natürlich im Laufe der Zeit weiterentwickeln. Perfide kann es dann werden, wenn Standards auch noch Grundlage für ein Geschäftsmodell (z.B. ein Zertifizierungsbusiness) sind. Da kommt dann manchmal der Verdacht auf, dass es Änderungen braucht, um das Geschäftsmodell am Laufen zu halten, da muss dann allein schon was geändert werden, um die neue Ausgabe, Materialien und Trainings verkaufen zu können oder Inhalte richten sich nach dem Geschäftsmodell aus.

Nachdem sich PMI (genauso wie auf der anderen Seite die GPM) solche Geschäftsmodelle zu eigen gemacht haben, werden Änderungen kritisch beäugt. Die jüngst erschienene siebte Ausgabe des PMBOK ist aber weit mehr als ein solcher, eher kosmetischen Eingriff um den Rubel weiter rollen zu lassen. Sie ist einerseits ein fundamentaler Paradigmenwechsel und gleichzeitig ist sie das nicht.

Um eines vorneweg zu sagen: Der PMBOK hat Projektmanagement nicht neu erfunden, auch wenn er kaum wiederzuerkennen ist. Eine Disziplin wie das Projektmanagement erfindet sich nicht einfach neu, auch wenn die Diskussion über traditionelles und agiles Projektmanagement in den letzten 15 Jahren das nahelegen könnte. Diese Kontroverse (zuletzt noch erweitert um den dritten unsäglichen Weg des hybriden Projektmanagement) umgeht der PMBOK elegant mit einem Sprung auf die Metaebene, denn egal welcher Schule man folgt, auf der Metaebene sind Projekte immer noch Projekte. Ein Projekt ist ein Projekt, ist ein Projekt.

Wer sich mit Projekten beschäftigt wird daher in der neuen Ausgabe des PMBOK nicht zwangsläufig etwas Neues lernen. Wenn ich nach einer alten Version oder einem anderen Standard zertifiziert bin, muss ich jetzt dann komplett umlernen? Nein, natürlich nicht.

Um zu verstehen, was den neuen PMBOK so grundlegend anders macht, werfen wir erst einmal einen Blick zurück und vergleichen ihn mit den anderen beiden internationalen Projektmanagementstandards, der von GPM und IPMA verfolgten ICB und PRINCE2. In der Vergangenheit haben diese drei Standards den gleichen Gegenstand und die gleichen Vorgehensweisen betrachtet, aber aus einem jeweils anderen Blickwinkel, während PRINCE2 Projektmanagement als Managementsystem betrachtet und beschrieben hat, stellt die ICB die für Projekte erforderlichen Kompetenzen in den Mittelpunkt und der PMBOK (alt) hat generisch Projektmanagementprozesse und die dabei zum Einsatz kommenden Wissensgebiete in den Fokus gerückt. Und genau darauf verzichtet der neue PMBOK. Er sagt mit keiner Silbe, dass diese Logik falsch war – ist sie auch nicht, er gibt sie lediglich als Gliederungs- und Strukturierungslogik auf. Und ehrlich gesagt: zurecht. Für unsere LinkedIn Learning Projektmanagementkurse habe ich mich immer wieder mit den drei Standards (aber selbstverständlich auch mit agilem Projektmanagement) auseinandergesetzt. Für jedes Training habe ich dann immer auch die Prozessperspektive des PMBOK abgeklopft, aber ehrlich gesagt, war diese Übung aufgrund des generischen Charakters des PMBOK eher dröge. Ich habe noch nie ernsthaft in einem Projekt in die Prozessdarstellung des PMBOK geschaut oder wäre auf die Idee gekommen dort praktischen Rat zu suchen, lediglich zur Prüfung unseres Curriculums hat mir der PMBOK (alt) gedient. Obendrein gab es gewisse Redundanzen, den in den unterschiedlichsten Prozessen kommen natürlich immer wieder die gleichen Werkzeuge, z.B. Facilitation zum Einsatz.

Der PMBOK (neu) verzichtet auf diese Darstellung, aber die Inhalte sind schon noch da, eingebettet in einem generalüberholten Ansatz – auf der Metaebene und der sieht wie folgt aus:

Ganz am Anfang steht der (ANSI) Projektmanagementstandard. Dieser war in unterschiedlichster Form und an unterschiedlicher Stelle (nachzulesen bei Thomas Wuttke im projektmagazin) immer schon Bestandteil des PMBOK.  Aber auch dieser Abschnitt ist kaum wiederzuerkennen, denn auch hier wird auf die gewohnte Prozessbetrachtung verzichtet. In der Einleitung, die vor allem auch wichtige Begriffe und Konzepte definiert und uns dabei auch nicht im Geringsten überrascht, folgt ein Abschnitt über das System der Werterstellung (ich tät halt neudeutsch sagen: Value proposition) und ein weiterer mit grundlegenden Prinzipien des Projektmanagement. Klingelt es? Wieso muss ich dabei an das (geflissentlich nicht erwähnte) Agile Manifest denken?

Die Prinzipien des Projektmanagements basieren auf den vier Grundwerten des PMI Code of Ethics and Professional Conduct (was zeigt, dass Inhalte und Grundalgen des PMI grundlegend eingearbeitet und enthalten sind). Diese sind:

  • Verantwortung
  • Respekt
  • Fairness
  • Ehrlichkeit

Mehr dazu gibt es auch in unserem LinkedIn Learning Training: Projektmanagement: Ethik und Compliance.

Der Norm folgt der eigentliche Guide. Da ist jetzt von acht Leistungsdomänen (Performance Domains) die Rede. Hört sich spontan nach den alten Wissensgebieten an, ist aber etwas anderes.

Die Leistungsbereiche sind:

  • Stakeholder
  • Team
  • Entwicklungsansatz und Lebenszyklus
  • Planung
  • Projektarbeit
  • Lieferung
  • Messung
  • Unsicherheit

Ein Thema wie die Stakeholder, das oft leichtfertig als selbstverständlich hingenommen wird (projektmagazin), bekommt die zentrale Einbettung, die ihm gebührt und auch die anderen Domänen überraschen uns nicht, weder vom Thema noch von den Inhalten, aber wozu auch, Projektmanagement 2021 erfindet die Welt nicht neu und trotzdem trägt der PMBOK mit der Leistungsdomäne Unsicherheit den Diskussionen um die VUCA-Welt Rechnung, allerdings wieder ohne Referenz, ähnlich wie beim agilen Manifest. So sehr ich die Aufnahme dieser Themen begrüße, da haben salopp gesagt „die Eier gefehlt“, als wären das originäre PMI Inhalte. Es macht  ein bisschen den Eindruck, als wolle man sich da mit fremden Federn schmücken. Ich würde mir hier mehr Souveränität wünschen. Diese Attitüde gefällt mir nicht.

Den Domänen folgt das Kernstück: Die Anpassung (Tailoring). Die Sinnhaftigkeit eines One-size-fits-all-Projektmanagements wird grundsätzlich in Frage gestellt und die Notwendigkeit zur Anpassung an den organisatorischen Kontext hervorgehoben. Projektmanagement muss also kontextspezifisch bzw. situativ sein. Ach. Gute Projektmanager haben das schon immer gepredigt. Schon immer praktiziert. Und jetzt wird diese Anpassung zum Markenzeichen des PMBOK. Gut so. Wenn ICB weiterhin die Kompetenzperspektive hochhält und PRINCE2 sich als Managementsystem versteht, dann ist die Philosophie des PMBOK (neu) jetzt situatives oder kontextspezifisches Projektmanagement. Das ist nicht nur klug, sondern auch elegant, denn auf dieser Ebene lassen sich die verfluchten Grabenkriege traditionell vs. agil wunderbar überwinden.

Den fehlenden Baustein zu Projektmanagementmethoden schließt das Kapitel: Modelle, Methoden und Artefakte – eine Methodensammlung, die zum trojanischen Pferd überleitet. Ein solches verbirgt  nämlich auch noch im PMBOK: PMIstandards+.

Hier schließt sich der Kreis zum eingangs erwähnten Geschäftsmodells. Das PMI versucht damit eine interaktive digitale Plattform zu etablieren, die – wer weiß – vielleicht sogar eines Tages den PMBOK ablösen kann, denn wer liest denn heute zutage noch Bücher? Mit openPM hatte ich mit einigen Mitstreitern vor 10 Jahren versucht so eine Plattform mit freien Inhalten zu etablieren. Mangels Umfang und Relevanz sind wir daran vermutlich gescheitert. Zu meinem Grundverständnis und Berufsethos gehört, dass solche grundlegenden Inhalte transparent sein sollten und d.h. dass sie bis zu einem gewissen Grad auch frei und offen zugänglich sein sollten (deren Anwendung, Ausarbeitung und Umsetzung ist dann wieder etwas anderes). Ehrlich gesagt habe ich kein gutes Bauchgefühl, wenn nun das PMI versucht hier Pflöcke einzuschlagen und Claims abzustecken – vermutlich mit kommerziellen Interessen. Fehlende Referenzen im PMBOK und das über Jahrzehnte entwickelte Zertifizierungsbusiness stimmen mich da nachdenklich.

Den grundsätzliche Paradigmenwechsel des PMBOK, der keiner ist, der Fokus auf das Tailoring, eine mögliche Überwindung von traditionell und agil (ohne das blöde hybrid) sind echte Errungenschaften des PMBOK, der ihm einen Sprung in eine neue Zeit ermöglicht ohne die bisherigen Inhalte aufzugeben oder über Bord zu werfen. PMIstandards+ enthält übrigens auch noch die Prozesswelt des PMBOK 6th edition (Amazon Affiliate Link). Dies widerspricht sich nicht, denn die „alte“ Prozesswelt ist lediglich eine sehr generische Betrachtung des Projektmanagements ohne spezifisches Tailoring, also quasi ein Art Maximal-Ausprägung.

Die Anhänge hätte ich jetzt beinahe noch vergessen. Sponsor und Projektmanagementbüro hätte man sicher auch an anderer Stelle integrieren können. Bemerkenswert ist ein eigener Anhang zum Thema „Produkt“ in dem die Perspektiven von Projekt- und Produktmanagement einander gegenübergestellt werden. Nur wenige Seiten, aber vielleicht mit Potential für künftige Auflagen.

Alles in Allem ein guter Weg, den der PMBOK eingeschlagen hat, auch wenn mich die „hidden agenda“ etwas skeptisch zurücklässt. Das tut der Qualität des PMBOK aber keinen Abbruch.

Integrationsmanagement

Fit werden für Integrationsaufgaben in Projekten aus Projektmanagement: Integration von Bernhard Schloß, Christian Botta und Daniel Reinold

Integrationsmanagement, ja, das ist so ein Thema, das insbesondere im PMBOK („Project Management Body of Knowledge“) des amerikanischen PMI explizit hervorgehoben wird (Amazon Affiliate Link).
Ich habe damit selbst lange „gefremdelt“, weil für mich Integrationsaufgaben so elementarer Bestandteil von Projektmanagement sind, dass ich nicht auf die Idee gekommen wäre, das als eigenes Wissensgebiet innerhalb der Disziplin anzusehen. Mit den verschiedensten Integrationsebenen und -aufgaben beschäftigt sich unser neues Training auf LinkedIn Learning. In Projekten werden wir mit den unterschiedlichsten Aufgaben konfrontiert, aber wie wird aus den vielen einzelnen Aktivitäten ein erfolgreiches Ganzes? Genau darum geht es in unserem Kurs. Wir wollen alle Teilnehmer genau dafür fit machen!

#591 Gelesen: Ehrliches IT-Projektmanagement (klassisch, PMI)

Das Buch Pragmatisches IT-Projektmanagement (PITPM)  (Amazon Affiliate Link) von Niklas Spitczok von Brisinski, Guy Vollmer und Ute Weber-Schäfer liegt jetzt ganz frisch in der 2., überarbeiteten Auflage vor. Es ist eines der ehrlichsten PM-Bücher, das genau das einhält, was es verspricht:

  • Klassisches Projektmanagement á la PMI/PMBOK
  • Drastisch abgespeckt mit Fokus auf Softwareentwicklungsprojekte, sogar noch schlanker als in der 1. Auflage.
  • Obwohl es die Prozessdarstellung des PMBOK aufgreift bleibt es ein Praxisbuch (Kompliment für diese gelungene Gradwanderung)!
  • Pragmatisch mit vielen Office-Templates, die unter Creative Commons-Lizenz auch Nicht-Lesern nach Registrierung  auf http://www.pitpm.net/ zur Verfügung stehen

Das sind die starken Seiten des Buches, die  es schon alleine zu einer Kaufempfehlung machen.

An seine Grenzen stößt es da, wo auch der PMBOK an seine Grenzen stößt. Nicht verwunderlich, aber schade.

Ich muss gestehen, dass ich während der Lektüre den PMBOK wieder aus dem Regal gezogen habe und dabei auch die vierte mit der aktuellen fünften Ausgabe verglichen habe. Dort haben im Rahmen der Projektprozesse  auch agile Gedanken (zumindest rudimentär) Einzug erhalten. Im PMBOK werden explizit iterativ, inkremmentelle Projektlebenszyklen und adaptive Projektlebenszyklen unterschieden (damit hat es sich aber schon wieder mit der Agilität).

Im PITPM habe ich den Eindruck das Agilität noch weiter nur auf iteratives Vorgehen reduziert wird. Die mit agilen Methoden einhergehenden strukturellen Änderungen, Rollenänderungen, Rituale und neuen Artefakte bleiben komplett auf der Strecke. „Agilos“ werden als Leser enttäuscht sein. Für euch gilt: Finger weg! Aber wer ein Arbeitsbuch und/oder Vorlagen für „klassisches“ Projektmanagement in der IT sucht, ist genau richtig.

Hier findet man von Anforderungserhebung, Stakeholderanalyse,  Earned Value Analyse, bis hin zu Test und Abnahme das klassische PM-Handwerkszeug. Und zwar nicht overengineert, sondern bewusst pragmatisch. Aber das hat uns ja der Titel auch versprochen. Und was er verspricht, das hält er auch.

Niklas Spitczok von Brisinski, Guy Vollmer, Ute Weber-Schäfer: Prgamatisches IT-Projektmanagement. Softwareentwicklungsprojekte auf Basis des PMBOK Guide führen, 2. überarbeitete und aktualisierte Auflage, dpunkt.verlag, Heidelberg 2014

#519 Gelesen: APM – Agiles Projektmanagement

Um gleich das Fazit vorweg zu nehmen: APM ist das Buch über agiles Projektmanagement, dass ich mir schon eine ganze Weile erhofft hatte. Es mag neuere Werke geben, andere, die mehr sexy sind, aber hier schaffen es die Autoren die Kluft zwischen agil und klassisch zu überwinden.

Entgegen anderen agilen Ansätzen, wie z.B. dem SCRUM-Framework, verzichten Sie darauf ein komplett eigenes Setup von Rollen und Bezeichnungen zu generieren, sondern suchen – im Gegenteil – die Anschlussfähigkeit zur klassischen Welt: In diesem Fall an den PMBOK des PMI. Sie räumen auf mit agil klassischen Vorurteilen z.B. über das Wasserfallmodell und zeigen dessen agile Wurzeln.

Das Buch gliedert sich in 2 Teile: Teil 1 beschreibt das APM-Verfahren als agile Vorgehensweise  von der Projektvorbereitung, über die Projektplanung, Releaseplanung, Iterationsvorbereitung, Iterationsdurchführung, Iterationsnachbereitung, bis hin zum Release. und Projektabschluss. Teil 2 beschreibt Techniken, Muster, Modelle und Standards und kann quasi auch als Methoden-ABC gelesen und als Nachschlagewerk genutzt werden. Nur ein Schluss fehlt irgendwie.

Auf der oose-Homepage (aus dieser Werkstatt stammt das Buch) ist das Werk samt Downloads aber leider wieder verschwunden, dafür gibt es zum Buch ein Poster mit den zentralen  Slides.

Bernd Oestereich, Christian Weiß
APM – Agiles Projektmanagement. Erfolgreiches Timeboxing für IT-Projekte (Amazon Affilliate Link)
dpunkt-Verlag
Heidelberg 2008

#473 PM-Reader

Eine kurze Zusammanfassung zu PM-Themen aus meinem Feedreader:

#399 PM-Reader

Zum Thema Projektmanagement hat sich so einiges im Feedreader angesammelt:

  • Dass Scrum auch abseits der Arbeitswelt einen Mehrwert bringen kann, beschreibt Robert Wiechmann. Und Xavier Quesada Allue scheint das gleich bestätigen zu wollen, denn in seinem Visual Management über den eigenen Nachwuchs führt er Sprints ein.
  • Ist PMBOK Overkill? Natürlich ja, wie jede PM-Methodik, denn vor allem kommt es auf den gesunden Menschenverstand an. Nachzulesen auf PM-Hut.
  • Einen erfolgreichen Projektmanager macht zu allererst Erfahrung aus meint Marcus Raitner.
  • Auch wenn Andreas Heilwagen sonst eher über cooles Hightech-Spielzeug á la iPad, Kindle & Co berichtet, hat er sich durchaus einen Sinn für konventionelle Tools und Methoden behalten und empfiehlt ganz klassisch Lernkarten für das Changemanagement.

Und last but not least für alle Freunde der bewegten Bilder:

#364 Das Beste von allen

Andreas Heilwagen hat einen Video-Podcast von Andy Murray, dem leitenden Autor der aktuellen Prince2-Version ausgegraben, indem dieser erklärt, wie sich Prince2 und PMBOK ergänzen. Ich bin kein Freund davon, die verschiedenen PM-Standards als konkurrierende Ideologien zu sehen (auch wenn sich die Herausgeber mitunter so verhalten). Es ist sicher aber auch falsch, alles zu einem Super-Mega-Ultra-Standard zu mergen. Dann haben wir zwar ein perfektes Regelwerk mit dem wir uns beschäftigen können, aber den Sinn und Zweck unserer Projekte längst vergessen. Vielmehr ist ein situatives Cherry-Picking – also je nach Anforderung das Geeignetste aus den unterschiedlichsten Ansätzen – pragmatisch angewandt, die richtige Vorgehensweise. In Projekten ist nicht der Weg (also das Projektmanagement) das Ziel, sondern die Problemlösung, auch wenn dies mitunter vergessen wird.



bernhardschloss.de