#324 PM und Komplexität (2)

Gerne greife ich Peter Addors Kommentar zum vorangegangenen Beitrag auf:

Dass der Projektbegriff bei weitem nicht so eindeutig ist, wie wir es uns vielleicht wünschen würden, darin sind wir uns einig.

Die Begrenztheit der Mittel ist letztlich die Grundfrage jeglichen Wirtschaftens – sprich der Ökonomie. Sie ist nur ein notwendiges aber kein hinreichendes Kriterium für Projekte.

Aber vielleicht müssen wir uns auch dem Komplexitätsbegriff noch einmal nähern: Peter Addors Sichtweise von Komplexität kann ich nachvollziehen, wenn ich eine objektive Sicht auf ein System hätte. Diese Herangehensweise würde einer kybernetischen Tradition entsprechen. Nimmt man aber beispielsweise eine konstruktivistische Betrachtungsweise, sieht das Ganze wieder etwas anders aus. Betrachte ich ein System als meine subjektive Konstruktion eines Realitätsausschnitts, dann kann eine vermeintliche „Komplexitätsreduktion“ für meine persönliche Verhaltensweise durchaus sinnvoll und zielführend sein, denn meine persönlichen (auch geistigen) Ressourcen sind beschränkt (wie sich das anhört!). Die Vereinfachung des Modells verändert aber nicht die Realität, sondern lediglich meine Wahrnehmung. Das kann auch gefährlich sein, ist aber durchaus eine legitime Bewältigungsstrategie zum Umgang mit der Realität – zur Vermeidung von Überforderung.

Peter Addor würde wahrscheinlich argumentieren, dass wenn ich für viele Bäume als Metaebene den Begriff „Wald“ einführe, sich damit die Komplexität des Systems erhöht (es gibt eine zusätzliche Begriffebene). Für mich reduziert sich hingegen zunächst die Komplexität, da ich jetzt von Wald spreche und die einzelnen Bäume möglicherweise gar nicht mehr betrachte. Während er Gefahr läuft den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen, laufe ich hingegen Gefahr nur mehr von ganzen Wäldern zu schwadronieren, aber den einzelnen Baum nicht mehr zu sehen.

Ein Patentrezept, welche Sichtweise besser ist, gibt es nicht. Fallweise mag die eine oder die andere Vorgehensweise zielführend sein. In Projekten – in denen sich in der Regel der Lösungsweg nicht sofort abzeichnet – fehlt uns die Übersicht, wir sind also erschlagen vor lauter Bäumen. In dieser Situation kann es tendenziell hilfreich sein, die Komplexität zu reduzieren. Sobald wir Land gewonnen haben, können wir dann auch wieder auf die Detailebene der Bäume zurückkehren, denn auch wenn wir Wälder roden wollen, müssen wir einzelne Bäume fällen.


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2 Kommentare zu “#324 PM und Komplexität (2)”

  1. Peter Addor
    9. Februar 2010 um 15:13

    Die Metapher mit den Bäumen und dem Wald ist ja vielleicht nicht besonders geeignet, wenn es gilt, Komplexität zu beschreiben (Vielleicht haben Sie ja Sherwoods Buch mit dem unseligen Titel „Den Wald vor lauter Bäumen sehen – Reduktion von Komplexität…“ gelesen). Bedenken Sie, dass ein komplexes System stets eine hohe raum-zeitliche Ordnung hat, die zumindest über eine gewisse Zeit stabil ist. Das Paradebeispiel eines komplexen Systems ist das Gehirn, mit seiner auffallenden Struktur. Daher wäre wohl eine Baumschule oder eine Allee die bessere Metapher für ein komplexes System. Ein komplexes System ist niemals chaotisch. Aber viele Menschen verwechseln Komplexität mit Entropie. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass wir aneinander vorbei reden. Wir meinen beide etwas anderes, wenn wir von Komplexität sprechen. Ich weiss nicht, warum die Leute die Dinge nicht beim richtigen Namen nennen, sondern Begriffe verwenden, die eigentlich für andere Dinge reserviert sind. Chaos und Entropie entstehen beim Aufbau oder beim Unterhalt von Komplexität. Zwar kann man Entropie auch nicht reduzieren, aber dafür exportieren. Das kann man nicht nur, dass soll man sogar auch, wenn das System nicht kollabieren soll. (Siehe z.B. E. Laszlo, Evolutionäres Management, Fulda 1992 oder F. Cramer, Caos und Ordnung, Stuttgart 1988, etc.). Das sind die Gesetze der Evolution. Beispiel: Das komplexe System „Stadt“ erzeugt zur Erhaltung ihrer Existenz ständig Entropie, die zu Abfällen führt. Diese müssen in die Umgebung exportiert werden, sonst erstickt die Stadt (s. Allan oder Forrester, Urban Dynamics, etc.). Wenn Sie vom das Durcheinander der Bäume auf den Wald abstrahieren, machen Sie genau das: Sie dissipieren die erstmalige Information, die in der intransparenten Menge der einzelnen Bäume enthalten ist, in die bestätigte Information „Wald“ (das Konzept der erstmaligen und bestätigten Information stammt von Ernst Ulrich v. Weizsäcker) und . Sie reduzieren dabei keineswegs die (sowieso niedrige) Komplexität der Baumansammlung, sondern lagern einfach die Entropie aus, die beim Betrachten der Bäume in Ihrem Kopf entsteht.
    Mehr darüber in meinem Buch „Projektdynamik – Komplexität im Alltag“, Reinhold Liebig Verlag, Frauenfeld 2010.

  2. admin
    13. Februar 2010 um 13:21

    Lieber Peter Addor,
    ich habe ja selber geschrieben, dass ich mit der Einführung der Metaebene die Komplexität des Systems nicht reduziert. Es reduziert sich aber die Komplexität in meiner Systembeschreibung/Wahrnehmung oder – mit Ihren Worten – die Entropie in meinem Kopf. Aber dies ist genau der Punkt auf den ich hinaus will und der mich in dieser Diskussion interessiert:
    Welche Strategien können uns beim Umgang mit komplexen Systemen weiterhelfen? Wie kann ich eine mögliche Überforderung vermeiden? Welches sinnvolle Handeln ist zielführend?
    Gruß
    Bernhard Schloß

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