#547 BER und der Managementkorrekturfaktor

Auf Spiegel online zitiert heute Alexander Demling den Planungsexperten Bent Flyvbjerg, der auch schon in der ZDF-Reportage „Fluchhafen“ herhalten musste und auf den auch im aktuellen Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken(Amazon Affiliate Link) von Daniel Kahnemann (eine Rezension folgt) verwiesen wird. Plakativ heißt es da:

Die meisten Projektmanager sind Dummköpfe oder Lügner

Nicht ganz klar wird, ob das ein Flyvbjerg-Zitat sein soll. Ich bezweifle das, denn so plump ist mir Flyvbjerg nicht in Erinnerung. Auch die Wiedergabe von Flybjergs-These, dass man alle Schätzungen realistisch hochrechnen kann, wenn man eine Prognose mit einem statistischen Korrekturfaktor multipliziert, erscheint mir für den dänischen Planungsexperten, der in Oxford lehrt, zu trivial. Aus dem ZDF-Beitrag blieb mir von ihm hingegen in Erinnerung, dass Planungs- und Projektkompetenz für derartige Mega-Projekte sinnvollerweise national gebündelt werden sollten.

Aber die auf Spiegel angeführte statistische Korrektur erinnert mich an etwas anderes: Einen SAP-BW-Projektleiter mit dem ich längere Zeit (erfolgreich) zusammengearbeitet habe. Der Kollege war bekannt für seine konservativen Schätzungen (ganz im Gegenteil zu BER). Das ging soweit, dass sein Chef, bei seinen Schätzungen grundsätzlich einen deutlichen Abschlag ansetzte, um zu einem realistischen Wert zu kommen. Weil besagter Projektleiter aber lernfähig war, baute er in seine weiteren Planungen immer einen statistischen „Managementkorrekturfaktor“ ein. Im Gegensatz zu Flyvbjerg aber nicht einen projekttypischen, sondern einen projektleiterspezifischen. So entstanden – wie soll ich sagen – sehr spezifische Excel-Aufwandsschätzungen mit eingebautem Korrekturfaktor, die für jeden nicht direkt Beteiligten für alle Zeiten unnachvollziehbar bleiben werden. Witzigerweise wurden auch die neuen Schätzungen von seinem Chef noch korrigiert. Und aberwitzigerweise hatte der Chef auch dabei Recht.

Ich bin kein Fan von solchen pauschalen Korrekturen. Die in dem Spiegel-Beitrag relativ undifferenziert wiedergegebene These, die ich eher dem Autor als Flyvbjerg zuschreiben möchte, halte ich für fatal! Klar mag es im Interesse eines Unternehmens, das an einer Ausschreibung teilnimmt liegen, Leistungen schön zu rechnen und sich über Claims zu kompensieren – wenn man erst mal den Auftrag hat; aber eine pauschale statistische Korrektur führt jeden realistischen Planungsversuch ad absurdum. Kann ich wirklich jedem Ausschreibungsteilnehmer unterstellen, dass er sich mit Milchmädchenrechnungen auf naive Weise schön rechnet?? Sollten wir nicht eher unsere Ausschreibungskultur in Frage stellen als auf derart zweifelhafte Methoden zurück zu greifen?

Schätzungen sind grundsätzlich ein sehr heikles Thema – egal ob top down oder buttom up. Ich war in Großprojekten beteiligt, in denen wir uns abwechselnd an der einen oder der anderen die Zähne ausgebissen haben. Bemerkenswerter Weise gab es aber eine ausgezeichnete Aufwandsschätzung, die ganz zu Beginn von Auftraggeber und Projektleiter in einer stillen Stunde aufgestellt und die niemals offiziell kommuniziert wurde. Zwei alte Hasen haben sich dabei tief in die Augen geschaut und aufgrund vergleichbarer Referenzprojekte mit ein paar situativen Anpassungen einen Wert auf den Tisch gebracht, der belastbarer war, als jeder andere Prognoseversuch.

Auch dass dieser Wert niemals kommuniziert wurde spricht Bände, denn unangenehme Wahrheiten wollen wir alle nicht hören. Sie verhindern jede Änderung und lassen uns im Status quo ersticken. Würden Projekte wie BER, Stuttgart 21 oder aktuell die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München mit echten Zahlen jemals verabschiedet? Hätte es jemals Olympia in München, Toll-Collect oder gar die bemannte Raumfahrt gegeben, wenn Politiker mit echten Zahlen agiert hätten??? Hätte es die Pyramiden gegeben? Wären prägende Innovationen jemals entstanden?

Wollen wir nicht beschissen werden???


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3 Kommentare zu “#547 BER und der Managementkorrekturfaktor”

  1. Holger Schneider
    10. Januar 2013 um 22:59

    Herr Flyvbjerg scheint das Zitat nicht nur gesagt, sondern auch niedergeschrieben zu haben. Habe mich auch erst gewundert.

    http://www.sbs.ox.ac.uk/newsandevents/releases/Pages/Foolsandliars.aspx

  2. Peter Addor
    11. Januar 2013 um 00:36

    Ach! Da ich weiss, dass der Accountmanager meine Budgetprognosen nie übernimmt und das Projekt im Schnitt ca. 10 % unter meiner Rechnung anbietet, schlage ich gewiss immer 10 % drauf. Das ist unter Projektleiter so üblich.
    Du schreibst, dass solche Praktiken „jeden realistischen Planungsversuch ad absurdum“ führe. Hast Du denn schon mal einen „realistischen Planungsversuch“ gesehen? Das ist doch ein Oxymoron. Eine (Projekt)Planung ist grundsätzlich nie realistisch! Eine Planung ist eine Zukunftsprognose, und das ist prinzipiell unmöglich.

  3. Peter Addor
    11. Januar 2013 um 00:58

    Über das Thema habe ich übrigens im August 2011 geschrieben bit.ly/mXvKbC und festgestellt, dass Projektpläne auf Lügen basieren. Kahneman (er hat nur einen n am Schluss) gibt m.E. sehr schön an, warum es bemannte Raumfahrt und Pyramiden gibt. Das hat einerseits mit der Affektheuristik zu tun und andererseits mit der Missachtung von Basisraten. Ich glaube aber nicht, dass es nur deshalb Pyramiden gibt, weil Ramses belogen werden wollte. Im Gegenteil: wenn wir endlich unsere Kognitionstechniken verstehen würden, kämen wir mit realistischen Zahlen im Projektmanagement weiter. Ich denke, dass es für Projektauftraggeber und Projektmanager hilfreicher ist, Kahnemans Buch zu lesen, als z.B. das PMBOK oder ein Leitfaden über agiles PM, das vielkeicht im vorliegenden Projekt nicht ein,al anwendbar ist.

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